Erwartungen der Kundenbranchen an die Chemieindustrie

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Der dominierende Megatrend, der das Geschäft der wichtigsten Kundenbranchen der chemischen Industrie (Transport, Wohnungsbau, Elektronik, Konsumgüter, Ernährung, Energie) in den nächsten 10-20 Jahren beeinflussen wird, ist nach Einschätzung der rd. 60 interviewten Experten „Ökologie und Nachhaltigkeit“, gefolgt von der Einhaltung von „ethischen und sozialen Standards“ und „Digitalisierung“.

Aus diesen Megatrends erwachsen neue Anforderungen der Endkunden (Verbraucher), die aktuell auf die Kundenbranchen der chemischen Industrie einen erheblichen Veränderungsdruck ausüben. Die Veränderungen sind dabei teilweise so fundamental, dass die Geschäftsmodelle ganzer Industrien zur Disposition stehen (z.B. Verbrennungsmotoren im Zuge der Elektromobilität). Diesen Veränderungsdruck geben die Kundenindustrien an ihre Vorlieferanten, wie die Chemieunternehmen, weiter, so dass auch diese in den nächsten Jahren vor erhebli­chem Anpassungsbedarf stehen.

 

1. „Stärker in Lösungen denken“

Die Kundenbranchen wünschen sich, dass die chemische Industrie noch stärker auf ihre individuellen Probleme eingeht und für diese Lösungen erarbeitet und anbietet. Ein Beispiel ist die sinkende Akzeptanz von Plastik. Diese bedeutet für viele Kundenbranchen eine existentielle Gefahr. Entsprechende Lösungen – von recyclierfähigen Kunststoffen über höherwertiges Recyclat bis zu Kunststoffen auf Basis natürlicher Rohrstoffe – müssten verstärkt angeboten werden.

 

2. „Stärker vom Verbraucher als Endkunden her denken“

Dass die Akzeptanz von bestimmten Produkten der chemischen Industrie so stark zurückgehen würde, hätte die Branche aus Sicht der Kundenbranchen früher erkennen können, wenn sie stärker vom Verbraucher als Endkunden her gedacht hätte. Die Positionierung in der Wertschöpfungskette könnte eine Erklärung dafür sein, dass Endkunden-relevante Trends von der Chemieindustrie teilweise erst verspätet wahrgenommen werden. Hier wünschen sich die Kundenbranchen eine Weiterentwicklung, um bei kommenden Diskussionen – von Mikroplastik über Lösungsmittel bis Titandioxid – besser vorbereitet zu sein.

 

3. „Kreislaufwirtschaft ermöglichen“

Der Aufbau einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft ist für viele Kundenbranchen ein wichtiges Anliegen. Dies umfasst die „technische“ Dimension – von der Sammelinfrastruktur bis zur Aufarbeitungsindustrie – sowie die „chemische“ Dimension der Zusammensetzung der Ausgangsmaterialien. Hier wünschen sich die Kundenbranchen einen stärkeren Beitrag der Chemieindustrie. Ein Beispiel sind Kleber-on-Demand, die das Recyceln von Elektronikprodukten und von Verbundwerkstoffen z.B. in Autos erleichtern könnten.

 

4. „Lebenszyklusperspektive etablieren“

Neben dem Aufbau einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft sehen viele Kundenbranchen erhebliche Potenziale in der ökologischen Optimierung über die Wertschöpfungsketten bzw. den Lebenszyklus von Produkten hinweg. Die Chemieindustrie als wichtiger Vorlieferant wird hier zu mehr Interaktion und Kooperation mit Vorlieferanten und Kunden sowie zu mehr Transparenz aufgefordert.

 

5. „Transparenz gewährleisten“

Transparenz ist aber nicht nur Voraussetzung für die ökologische Optimierung von Wertschöpfungsketten. Transparenz ist in vielen Endkunden-nahen Branchen „die“ Kernforderung der Kundenbranchen. Die Endkunden wollen in immer stärkerem Umfang wissen, „was“ sie konsumieren. Diesen Wunsch müssen die Unternehmen bedienen und fordern von ihren Vorlieferanten die notwendigen Informationen. Die Chemieindustrie muss einen Weg finden, dieser Anforderung nachzukommen.

 

6. „Gefahrstoffe vermeiden“

Es gibt einen Branchenübergreifenden Anspruch, Wirtschaft und Natur stärker in Einklang zu bringen und „giftfrei“ zu leben. Dieser Wunsch nach mehr Natürlichkeit resultiert in der Anforderung an die Chemieindustrie, Gefahrstoffe möglichst zu vermeiden oder zu substituieren.

 

7. „Ethische und soziale Standards einhalten“

Fast alle befragten Unternehmen haben Nachhaltigkeitsstrategien, die die Einhaltung von ethischen und sozialen Standards über die gesamte Lieferkette fordern. Die Chemieindustrie als wichtiger Vorlieferant muss die Einhaltung dieser Standards in ihrer Supply Chain/Produktion garantieren. Vor allem bei der Förderung/Verwertung kritischer Rohstoffe entsteht Handlungsbedarf.

 

8. „Flexibler produzieren“

Die Kundenbranchen wünschen sich verstärkt Lösungen für ihre individuellen Probleme. Dies wird zu einer differenzierteren Produktlandschaft führen – mit entsprechenden Auswirkungen für die Architektur der Produktion. Kleinere, flexiblere Anlagen werden große, bestehende Anlagen ergänzen müssen. Mittelständische Strukturen könnten hier teilweise großindustriellen Lösungen überlegen sein.

 

9. „Geschäftsmodelle neu denken“

Neben der Notwendigkeit nach einer Flexibilisierung der Produktion gibt es aus Sicht der Kundenbranchen eine Reihe weiterer Aspekte, die eine Hinterfragung bzw. Weiterentwicklung des Geschäftsmodells der Chemieindustrie nahelegen. So wird bspw. eine zumindest teilweise Umstellung der Wertschöpfungsketten auf natürliche Rohstoffe erwartet. Gleichzeitig wird die Einführung von geschlossenen Kreisläufen oft nur über neue Geschäftsmodelle in den Kundenbranchen möglich sein (z.B. Leasing-/Sharing-Modelle), die wiederum die Absatzvolumina der Chemieindustrie schmälern werden. Auch hier entsteht die Notwendigkeit, nach alternativen Geschäften zu suchen. Power-to-X könnte eines dieser Felder sein. Die Kundenbranchen empfehlen der Chemieindustrie in diesem Zusammenhang eine stärkere Kooperation mit Start-Ups.

 

10. „Kommunikation verbessern“

Die Leistungen und der Mehrwert der Produkte der Chemieindustrie sind aus Sicht der Kundenbranchen unbestritten. Allerdings werden sie in der Öffentlichkeit (z.B. in der Kunststoff-Diskussion) praktisch nicht wahrgenommen. Hier sehen die Kundenbranchen Nachholbedarf der Chemieindustrie. Sie wünschen sich eine deutlich verbesserte Kommunikation der Branche, sowohl in Richtung Öffentlichkeit und Politik, aber auch in Richtung Kunden und Lieferanten. Im Kern geht es darum, den Mehrwert der eigenen Produkte verständlicher für den Laien zu transportieren.

 

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Dr. Georg Wolters
Managing Director & Head of People